Diese Jugend, die lernt
ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln (...) und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes
Leben.
Adolf Hitler
33
1. Der Anspruch des totalen Staates
2. Rolle und Anspruch der Hitlerjugend im totalitären
Staat
3. Die Durchsetzung des Monopolanspruchs der
Staatsjugend
4. Brüche in der NS-Sozialisation
Fußnoten mit Links zu den
Literaturangaben
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1. Der Anspruch des totalen Staates
Der im ersten Kapitel geschilderten Aufbruchsstimmung in der
katholischen Jugend trat mit der nationalsozialistischen Machtübernahme
der Anspruch eines Regimes entgegen, dem es nicht nur um die
Ausschaltung ungeliebter demokratischer Strukturen ging. Vielmehr
stützte sich diese Parteiendiktatur "...selbst auf eine
politische Massenbewegung" und versuchte "...das
Herrschaftsmonopol (...) durch die Gleichschaltung aller
gesellschaftlichen Organisationen (...) zu sichern."34
Die Eigenart des totalitären Staates ist es, "...daß
der totalitäre Herrschaftsanspruch sich nicht in den Grenzen möglicher
staatlicher Zuständigkeit hält, sondern - wie es sich im
Begriff ausdrückt - uneingeschränkt über das Ganze des
menschlichen Lebens verfügen will."35
Diesen Anspruch der totalitären Herrschaft, "...
sich die Personalität des Menschen und das Schicksal verfügbar
zu machen ...", kann sie letztlich nie absolut verwirklichen.
"Es liegt in ihrem Wesen, daß sie ihr Ziel niemals erreicht
und total wird, sondern tendenziell, ein Herrschaftsanspruch
bleiben muß." Es bleiben in der Realität "...immer
totalitäre mit nicht-totalitären Zügen vermischt...".
Gerade dies macht das Leben und das Verhalten in dieser Situation
für den Einzelnen aber nicht harmloser, weil "...die
Auswirkungen (...) verschwimmend, unberechenbar und schwer
nachweisbar sind ...".36
Für das Thema dieser Arbeit ist die Auswirkung auf die Erziehung
und auf das Leben der Jugend von besonderer Bedeutung. "Jeder
wesentliche Wirkungskreis mußte unter die Kontrolle des Staates
gebracht werden, dessen grundlegende Inspiration die Weisung des
Führers Adolf Hitler war...".37
Gerade dem Wirkungskreis "Erziehung" hat der
Nationalsozialismus erhebliche Bedeutung zugemessen.
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2. Rolle und Anspruch der Hitlerjugend im totalitären Staat
a. HJ als Parteigliederung vor 1933
Der erste Ansatz, 1920 eine NS-Jugendorganisation aufzubauen,
scheiterte mit dem Verbot der NSDAP im Jahre 1923.38
Erst mit der Anerkennung der von Kurt Gruber im Vogtland
gesammelten "Großdeutsche Jugendbewegung" als
offizieller Jugendorganisation der neugegründeten NSDAP auf dem
Reichsparteitag 1926 in Weimar wurde die Jugendarbeit der Partei
wieder aufgenommen.
Die in "Hiter-Jugend, Bund deutscher Arbeiterjugend (HJ)"
umbenannte Organisation wurde der SA unterstellt, von der sie
sich schon wegen der braunen Hemden zunächst auch äußerlich
kaum unterschied. In den folgenen Jahren unterstrichen
verschiedene Richtlinien die Zuordnug der HJ zur SA.39
Unter Baldur von Schirach, der die Führung der NS-Jugend am 30.
Oktober 1931 übernahm, wurde der Ausbau der Hitler-Jugend als
Einsatztruppe der NSDAP vorangetrieben.40
Den Höhepunkt der Auftritte der HJ bildete dabei unbestritten
der "Reichsjugendtag der HJ", bei dem am 1. und 2.
Oktober 1932 in Potsdam sieben Stunden lang Jugendliche an Hitler
vorbeimarschierten. Trotz dieser hohen Teilnehmerzahl von "70
000 Hitler-Jungen und Hitler-Mädel" ist es der HJ aber
nicht gelungen "Einfluß auf die deutsche Jugend zu gewinnen"41.
Arno Klönne faßt die Rolle der HJ vor 1933 folgendermaßen
zusammen: "... das Schwergewicht der HJ-Arbeit in dieser
Phase lag in der Demonstrations- und Agitationstätigkeit. (...)
von eigentlicher Jugendarbeit konnte bei der HJ in diesen Jahren
noch kaum die Rede sein ...".42
Den Anspruch, erziehend im herkömmlichen Sinne zu wirken,
stellte die HJ auch überhaupt nicht. Sie war eine kämpferische,
politische Jugendorganisation und gestand dies auch ein. Doch
auch in politischem Sinne war sie letzlich belanglos und hatte
zudem Probleme in Führung und Organisation.43
b. Anspruch auf die Jugend ab 1933
Mit der "Machtübernahme" durch die Nationalsozialisten änderte sich die Situation und die Rolle der Hitler-Jugend grundlegend. Sie war bisher ein sehr kleiner Teil im Spektrum der organisierten Jugend44 Nun ließ die Staatsführung keinen Zweifel daran, daß sie das Monopol im Bereich der Jugenderziehung für die Hitlerjugend beanspruchen würde. "Wie die NSDAP nunmehr die einzige Partei ist, so muß die HJ die einzige Jugendorganisation sein."45
Der "Anspruch auf die ganze Jugend" war dabei in
doppeltem Sinne gemeint: Zum einen natürlich die möglichst
vollständige Erfassung der Jugend in den Gliederungen der
Parteijugend. Ein Fortbestehen nicht nationalsozialistischer
Gruppen war in diesem Denken natürlich nicht vorgesehen.
Der Anspruch eines totalitären Staates bestand jedoch nicht nur
darin konkurrierende Gliederungen, sei es eine Partei oder eine
Jugendorganisation, auszuschalten. Dieser Staat will, wie oben
dargestellt, uneingeschränkt über das Ganze des
menschlichen Lebens verfügen.
Für die HJ bedeutete dies das Bestreben, ihre Kontrolle auf möglichst
viele Lebensbereich der Jugend zu auszuweiten.46
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3. Die Durchsetzung des Monopolanspruchs der Staatsjugend
a. Ausschaltung konkurrierender Gruppen
b. Erfassung möglichst vieler Lebensbereiche
der Jugend
c. Das Gesetz über die Hitlerjugend
d. Jugenddienstpflicht
e. Fazit: HJ als totale Institution
a. Ausschaltung konkurrierender Gruppen
Dem ersten Anspruch stand jegliches Bestehen anderer
Jugendorganisationen außerhalb der HJ entgegen. Selbst die
Jugendbünde, die dem neuen Staat politische Zustimmung entgegen
brachten, waren nicht zur Aufgabe ihres eigenständigen
Gruppenlebens bereit. Um den Anspruch des Nationalsozialismus auf
die Jugend durchzusetzen, mußte deshalb mit staatlicher aber
auch mit staatlich nicht legitimierter Gewalt gegen die
Konkurrenz vorgegangen werden.
Nach der gewaltsamen Übernahme des "Reichsausschuß
deutscher Jugendverbände" durch die Führung der Hitler-Jugend
wurden zunächst die sozialistischen und die jüdischen
Jugendorganisationen ausgeschlossen. Das Problem der politischen
Jugendorganisationen erledigte sich mit dem Verbot der
entsprechenden Parteien von selbst.
So bestanden als Organisationen, die dem Anspruch der HJ
entgegenstanden, nur noch die konfessionellen und bündischen47 Jugendverbände.
Mit der Berufung des Reichsjugendführers der NSDAP zum "Jugendführer
des Deutschen Reiches" wurde Baldur von Schirach auch
Verantwortlicher für die deutsche Jugend außerhalb der HJ.
"Damit war die gesamte Jugendarbeit in Deutschland
potentiell unter die Kontrolle und Lenkung der HJ-Führung
gebracht."48 Schon am
darauffolgenden Tag wurde mit der gewaltsamen Auflösung des
"Großdeutschen Bundes"49
die legale Arbeit der freien Jugendbewegungen beendet.
Die evangelischen Jugendverbände wurden gegen nur geringen
Widerstand in die Strukturen der HJ eingegliedert und schränkten
ihre Betätigung nach und nach ein.50
Das selbe Schicksal war von Seiten der Reichsjugendführung auch
für die katholische Jugend vorgesehen, auch wenn die
Verwirklichung durch die Verhandlungen und das Ergebnis des
Reichskonkordats zunächst nicht ohne Schaden möglich war.51
Als letzte legale Alternative zur HJ war die katholische Jugend
besonders dem staatlichen Druck ausgesetzt. War eine Auflösung
auf Grund des Konkordatsschutzes nicht möglich, so wurde die Tätigkeit
durch staatliche Maßnahmen und staatlich gedeckte illegale
Aktionen der HJ erheblich eingeschränkt.52
b. Erfassung möglichst vieler Lebensbereiche der Jugend
Auch der Anspruch, möglichst viele Lebensbereiche der Jugend zu erfassen, wurde nach und nach verwirklicht. Neben den eigentlichen Aufgaben eines Jugendverbandes wurden der Hitler-Jugend Mitspracherecht in Jugendfürsorge, Jugendgerichtsbarkeit und Jugendpresse zugewiesen, die sozialpolitische Jugendarbeit und der Jugendsport völlig in die HJ eingegliedert. Außerdem wurden auf verschiedenste Art "...persönliche und berufliche Interessen von Jugendlichen mit der Einpassung in das System der HJ gekoppelt."53
c. Das Gesetz über die Hitlerjugend
Rechtlich verankert wurde die Monopolstellung der HJ schließlich
durch das "Gesetz über die Hitlerjugend" vom 1.Dezember
1936. Darin wurde die gesamte "körperliche, geistige und
sittliche Erziehung der Jugend außerhalb von Schule und
Elternhaus" der HJ übertragen.
"Was staatlicherseits mit Einschränkungen für das öffentliche
Auftreten begann, endete mit dem »Gesetz über die Hitler-Jugend«
vom 1. Dezember 1936, das den totalen Anspruch einer
Parteiorganisation auf die ganze deutsche Jugend endgültig
legalisierte"54:
Gesetz über die Hitlerjugend55
§1 Die gesamte deutsche Jugend innerhalb
des Reichsgebietes ist in der Hitler-Jugend zusammengefaßt.
§2 Die gesamte deutsche Jugend ist außer in
Elternhaus und Schule in der Hitler-Jugend körperlich,
geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus
zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen.
§3 Die Aufgabe der Erziehung der gesamten
deutschen Jugend in der Hitler-Jugend wird dem
Reichsjugendführer der NSDAP übertragen. Er ist damit
»Jugendführer des Deutschen Reiches«. (...)
Berlin, den 1. Dezember 1936
Es waren jedoch auch zu diesem Zeitpunkt erst 60% der Jugend erfaßt
und der Schein der Freiwilligkeit nach außen hin noch nicht
aufgegeben.56
Ab dem Jahr 1936 war auch die innere Strukturierung der HJ
abgeschlossen. "...wesentliches Strukturprinzip war (...)
der strenge jahrgangsmäßige Aufbau...".57
Sämtliche Kompetenzen und Befehlsbereiche waren bis zu den
Dienstwegen "... nach militärischem Vorbild geregelt."58
Nach und nach wurde die vormilitärische Ertüchtigung im Programm der HJ verstärkt, und außerdem Sondereinheiten59 geschaffen, die die vormilitärische Ausbildung der Jugendlichen gemäß ihren Interessen erweiterten. Mit dem "Streifendienst" wurde die Hitlerjugend zur Kontrolle der Freizeit - und besonders des Wanderns - der Jugend eingesetzt, und bekam damit gewissermaßen polizeiliche Aufgaben übertragen. Als Schlußpunkt dieser Entwicklung zur totalen Jugenderfassung wurde noch vor Kriegsbeginn eine Jugenddienstpflicht eingeführt.
Jugenddienstverordnung60
§1 Dauer der Dienstpflicht (...)
(2) Alle Jugendlichen vom 10. bis zum vollendeten
18. Lebensjahr sind verpflichtet, in der Hitler-Jugend
Dienst zu tun, (...).
§9 Anmeldung und Aufnahme
(1) Alle Jugendlichen sind bis zum 15. März des
Kalenderjahres, in dem sie das 10. Lebensjahr vollenden,
bei dem zuständigen HJ-Führer zur Aufnahme in die
Hitler-Jugend anzumelden.
(2) Zu der Anmeldung ist der gesetzliche Vertreter des
Jugendlichen verpflichtet.
§12 Strafbestimmungen
(1) Ein gesetzlicher Vertreter wird mit Geldstrafe
bis zu 150 Reichsmark oder mit Haft bestraft, wenn er den
Bestimmungen des §9 dieser Verordnung vorsätzlich
zuwiderhandelt.
(2) Mit Gefängnis und Geldstrafe oder mit einer dieser
Strafen wird bestraft, wer böswillig einen Jugendlichen
vom Dienst in der Hitlerjugend abhält oder abzuhalten
versucht.
Berlin, den 25. März 1939
Damit wurde die ganze Jugend vom 10. bis zum 18. Lebensjahr
zum Dienst in den HJ-Einheiten verpflichtet. Die Verletzung der
Dienstpflicht konnte rechtlich geahndet werden.
Die Staatsjugend wurde dadurch zu einer militärisch
strukturierten Organisation mit "Jugendarrest", "Dienstweg",
"Dienstkontrollbüchern", "Dienstvorschrift"
bis hin zu "Bekleidungsvorschrift" und "Lagerverpflegungsordnung".61 Damit war rechtlich die komplette
Erfassung der Jugend gesichert.
Aufgrund dieser Strukturen war die HJ nun gerüstet für weitere
Funktionen, die ihr in Folge des Krieges nach und nach zugewiesen
wurden.62 Mit der "Kinderlandverschickung",
bei der die Schüler aus luftkriegsgefährdeten Gebieten
evakuiert wurden bekam die HJ mit der Betreuung dieser Kinder
eine ihrer bedeutensten Aufgaben zugewiesen. Außerdem hatte sie
damit die Möglichkeit, ungestört von den Eltern, die Kinder in
ihrem Sinne zu erziehen.63
Schrecklicher Höhepunkt und Schlußpunkt der HJ-Dienstpflicht
war der Kriegseinsatz Jugendlicher in einem schon verlorenen
Krieg.64
e. Fazit: HJ als totale Institution
Eine damalige Mitarbeiterin in der Reichsjugendführung
schreibt im Rückblick über die Hitlerjugend: "... sie
wurde mehr und mehr »Staatsjugend«, d.h. sie
institutionalisierte sich mehr und mehr und wurde schließlich
ein Instrument, mit dessen Hilfe die nationalsozialistische
Staatsführung ihre weltanschauliche Ausrichtung der Jugend und
den Kriegseinsatz bestimmter Jahrgänge dirigierte."65
Äußerlich hatte die Hitlerjugend den Anspruch der
Jugendbewegung, daß "Jugend von Jugend geführt" wird
übernommen, und in einem von der Jugendbewegung nie erreichten
Ausmaße verwirklicht. Dem Anspruch des totalitären Staates gemäß,
handelte es sich bei dieser Führungsverantwortung in der HJ
jedoch um "vom Staat geliehene Machtentfaltung" und
wurde so zu einem "institutionalisierten Mittel staatlicher
Herrschaft".66
Dementsprechend war auch die ganze "Erziehung" im
Nationalsozialismus nicht darauf gerichtet die Jugend in ihrer
Selbstverantwortung zu stärken, sondern vielmehr darauf sie in
ein System der Anpassung einzubinden.67
So bewirkte letztlich die Erziehung der HJ - analog zur gesamten
Gesellschaft - nicht "die Herausbildung einer breiten
Schicht von fanatisch-aktiven jungen Nationalsozialisten"
sondern zumeist eine "Dressur der Jugendlichen zur
Systemanpassung, zum Verzicht auf politische und
gesellschaftliche Willensbildung und Spontanität" und damit
eine "ethische Neutralisierung der Jugend".68
Das Ziel der nationalsozialistischen Erfassung der Jugend
beschrieb Adolf Hitler selbst folgendermaßen:
Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn in unsere Organisationen hineinkommen und dort zum ersten Mal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitler-Jugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder die SS, in das NSKK und so weiter.(...), dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben. [Fettdruck nicht im Orginal] 69
All das macht deutlich: Die HJ war mehr als eine Pfadfinderbewegung unter der Aufsicht des Staates. Sie war das Instrument, den totalitären Erfassungsanspruch der Partei und des Staates auch im Bereich der Jugend durchzusetzen. Sie stellte mit ihrem straff organisierten Aufbau, mit dem strengen Führerprinzip und letztlich mit der Einführung der Jugenddienstpflicht eine "... Entsprechung und Ergänzung zur Arbeits- und Wehrdienstpflicht dar"70. Die Durchsetzung dieses Anspruchs konnte zwar nur nach und nach verwirklicht werden, es kann nach Klönne aber nicht bezweifelt werden, "..., daß der Endzustand einer »Jugenddienstpflicht« schon in den Maßnahmen der HJ-Führung ab 1933 angelegt war."71
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4. Brüche in der NS-Sozialisation
a. Realität im Gruppenbetrieb
b. HJ und andere
Erziehungsinstitutionen
c. Jugendverweigerung und Opposition
Der Durchsetzung dieses Anspruchs, die ganze deutsche Jugend zu erfassen, waren trotz aller angewandter Machtmittel Grenzen gesetzt. Im allgemeinen kann angenommen werden, "... daß in weiten Teilen des Landes die nahezu restlose Organisation der Jugendlichen ein Erfolg war, der lediglich auf dem Papier stand..."72. Der Grund dafür bestand zunächst einfach darin, daß die HJ nicht genügend fähige Führer aufbringen konnte, um diese Massen von Mitgliedern zu beschäftigen.
"Es ist ausgeschlossen, daß die Führer des JV sich durchsetzen, von der HJ überhaupt zu schweigen. Die HJ besteht nur noch dem Namen nach, da ein gleichaltriger HJ-Führer mit diesen in den besten Lümmeljahren stehenden Kameraden nur in ganz seltenen Jahren sich durchsetzen kann."73
Die Schüler aus weiterführenden Schulen, die schon in der Zeit der Jugendbewegung das größte Potential der Gruppenleiter stellten, wanderten in die attraktiveren Spezialeinheiten der HJ, wie Flieger- oder Motor-HJ, ab, wo sie dem militärischen Drill entgehen konnten. Am ehesten waren sie noch bereit, Führungspositionen im JV zu übernehmen. Gruppenleiter für die Alterstufe der HJ zu finden, erwies sich als großes Problem. Dies führte dazu, daß "... die Untergliederung der 14- bis 18jährigen Jungen, die HJ im engeren Sinne, das schwächste Glied im System der NS-Jugendorganisation darstellte, obwohl dem politisch-erzieherischen Anspruch der HJ nach gerade diese Untergliederung den Kern des »jungen Nationalsozialismus« ausmachen sollte."74
b. HJ und andere Erziehungsinstitutionen
Auch das Gesetz über die Hitlerjugend 1936 brachte die HJ
nicht in die Stellung, alleinige Erziehungsinstitution des
Dritten Reiches zu sein. Nach der Volksideologie konnte zwar,
"...ein Gegensatz zwischen Elternhaus, Schule und HJ
theoretisch nicht aufkommen (...), da alle drei Institutionen
lediglich Funktionsträger des (...) »völkischen
Erziehungsauftrags« waren..."75,
in Wirklichkeit waren jedoch Gegensätzlichkeiten sicher nicht
ausgeschlossen.
So verstanden zum Beispiel die Nationalsozialisten die Zuordnung
von Volk und Eltern folgendermaßen: "... Nicht ein eigenes,
ursprüngliches und grundsätzliches Recht der Eltern (...)
anerkennt der völkische Staat, vielmehr überläßt er als höchste
Gewalt (...) der Familie den völkischen Nachwuchs zu treuen Händen."76
Es ist jedoch einsichtig, daß die Erziehung durch das Elternhaus
letztlich das Erziehungsmonopol in Frage stellen mußte, selbst
wenn die HJ zwischen 1933 und 1936 "...recht intensiv bemüht
[war], sich der Loyalität zu versichern..."77.
Erst die "Kinderlandverschickung" während dem Krieg
bot dem Staat die Chance einer "... nun wirklichen totalen
Jugenderziehung durch institutionelle Verschränkung von HJ-Dienst
und Schule..."78.
Aber selbst auf die Institution Schule konnte und wollte sich der
Nationalsozialismus nicht voll verlassen. Sogar überzeugte Anhänger
des Nationalsozialismus unter der Lehrerschaft konnten in Bezug
auf die Ziele der Erziehung anderer Auffassung sein als die
Reichsjugendführung. "Formaler Unterricht, der Erwerb
wissenschaftlichen und objektiven Wissens, die Kultivierung des
Geistes...", also Grundpfeiler schulischer Erziehung,
"... wurden alle auf eine niedrige Position auf der
nationalsozialistischen Skala erzieherischer Prioritäten
verwiesen."79 Auch wenn
"...weltanschauliche Gegensätze zwischen der HJ und der
Lehrerschaft..." auf Einzelfälle beschränkt blieben, wie
Arno Klönne annimmt, so dürfte trotzdem feststehen, "...daß
ein beträchtlicher Teil der Lehrerschaft der HJ-Arbeit skeptisch
oder vorsichtig ablehnend gegenüberstand"80.
Verstärkt wurde diese Skepsis durch Ansprüche der HJ auf
Sonderbehandlung ihrer Mitglieder. "Das ganze System von Prüfungen
und Versetzungen der Schüler wurde durch ungesetzliches
Eingreifen von seiten des HJ-Personals hoffnungslos
durcheinandergebracht."81 Darüberhinaus
verschlechterten die öffentlichen Angriffe des Reichsjugendführers
gegen die Lehrerschaft ihr Verhältnis zur HJ. Dies führte dazu,
daß die Lehrer ihre Mitarbeit in der Staatsjugend teilweise
einstellten. Eine Ortsgruppe der NSDAP in Franken beklagte dies
in einem Monatsbericht:
"... die Lehrer haben ihre bisherige Mitarbeit fast völlig eingestellt. Sie gehen sogar dazu über, den Schülern an den Jugendtagen Hausaufgaben zu geben , so daß die Jungen dem Dienst fernbleiben. Ein Hauptgrund, warum die Lehrer nicht mehr mitarbeiten, ist der, daß der Reichsjugendführer sowohl in Reden als auch in der Presse fortwährend die Lehrer angreift. Die Gründe der Lehrer sind verständlich und ich bitte, im Interesse der Jugend mit größtem Nachdruck dahin zu wirken, daß diese Angriffe eingestellt werden."82
c. Jugendverweigerung und Opposition
Über die ganzen Bereiche von Uneinigkeit der NS-Gliederungen
hinaus war auch in der Jugend selbst ein beträchtliches Maß an
Widerstand gegen die totale Gleichschaltung im Sinne der HJ zu
finden. Arno Klönne hat die Verschiedenartigkeit der
jugendlichen Opposition untersucht und ausführlich dargestellt.83
Die Gefahr der oppositionellen Gruppen und Millieus innerhalb der
Jugend lag zwar nicht "...dem Hauptgewicht nach (...) in den
Fällen unmittelbaren Widerstands...". Die "abweichende
Sozialisation" in geschlossenen Gruppen stellte jedoch
"...den Erziehungsauftrag der HJ in Frage"84.
Einen dieser Bereiche abweichender Sozialisation bildete dabei
unzweifelhaft die katholische Jugend, in der "...eine
erfolgreiche »Gegenkultur« zur NS-Erziehung existierte, die
weltanschaulichen und institutionellen Rückhalt hatte."85
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Fußnoten mit Links zu den Literaturangaben
33 zit. nach: Böseler: Dortmunder Prozeß, S.
54
34 Löwenthal:
Totaler Staat, S. 619
35 Buchheim:
Herrschaft, S. 14
36 Buchheim:
Herrschaft, S. 43
37 Stachura:
Jugenderziehung, S. 224
38 Brandenburg:
HJ, S. 22-24
39 vgl. Dokumente 7, 10, 12 und 13,
bei Brandenburg: HJ, S. 244
ff
40 "Die Haupttätigkeit der HJ
bestand in diesen letzten Jahren der Weimarer Republik in
Kundgebungen und Aufmärschen, in Klebeeinsätzen für
Parteiaufrufe und Wahlplakate, (...) im Saalschutz für
Parteiversammlungen und in der Teilnahme an Demonstationen."
Brandenburg: HJ, S. 118
41 Brandenburg:
HJ, S. 124
42 Klönne: Jugend, S. 18
43 Stachura:
Jugenderziehung, S. 228
44 mit 50 000 war die Mitgliederzahl
gerade 1% im Vergleich zu den im "Reichsausschuß der
deutschen Jugendverbände" vertretenen Jugendlichen. Brandenburg: HJ, S. 132.
45 Schirach: Hitler-Jugend,
S. 69
46 "Die HJ will sowohl die
Gesamtheit der Jugend, wie auch den gesamten Lebensbereich des
jungen Deutschen erfassen". Schirach: Hitler-Jugend,
S. 69
47 Auf eine Differenzierung zwischen
bündischen und freien Jugendverbänden wird hier und im
folgenden verzichtet.
48 Klönne: Jugend, S. 21
49 Zusammenschluß der Bündischen
Jugend
50 Zur Ausschaltung der Jugendverbände
siehe ausführlich: Brandenburg:
HJ, S. 145-160; vgl. Klönne:
Jugend, S. 19-28
51 Schirach meinte am 5.11.1934 in
Berlin bei Verhandlungen um die Auslegung von Art.31: "...
Ich vermag nicht einzusehen, warum es neben der Hitlerjugend noch
konfessionelle Sonderbünde geben soll. Wir können von dem
Prinzip nicht abgehen, daß alle Jugend uns gehört...". Zit.
nach: Stasiewski: Lage der
Kirche II, Nr. 181/III., S. 39
52 siehe dazu ausführlicher Kapitel III dieser Arbeit
53 Klönne: Jugendprotest,
S. 535. Vgl. Kapitel III 3.b-d
54 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 176f
55 zit. nach: Brandenburg: HJ, S. 180
56 "... ich war fest davon überzeugt,
daß die restlichen 40% freiwillig kommen würden". Schirach: Ich glaubte,
S. 232
57 Klönne: Jugend, S. 44
58 Klönne: Jugend, S. 45
59 Flieger-, Marine-, Nachrichten-,
und Motor-HJ. vgl. Klönne:
Jugendprotest, S. 536
60 Auszug aus: Zweite Durchführungsverordnung
zum Gesetz über die Hitler-Jugend (Jugenddienstverordnung). Brandenburg: HJ, Dokument 48,
S. 308
61 vgl. Klönne: Jugendprotest,
S. 536
62 so Kurier- und Wachdienste,
Einsatz bei der Wehrmacht, in Wirtschaftsbetrieben, bei
Sammelaktionen und im Ernteeinsatz. vgl. Klönne: Jugend, S. 38
63 Dazu hieß es z.B.: "... Die
Einrichtung der KLV-Lager bietet die Möglichkeit, Jugendliche in
großem Rahmen und für längere Zeit total zu erziehen..."
in : Das junge Deutschland, 1943, S. 103, zit. nach: Klönne: Hitlerjugend,
S. 30
64 "Noch am 23. April 1945
stellte Reichsjugendführer Axmann 600 15- und 16jährige
Hitlerjungen bereit, die auf Befehl Hitlers die Pichelsdorfer
Havelbrücke verteidigen sollten." Brandenburg: HJ, S. 233
65 Maschmann:
Fazit, S. 151f
66 Klönne: Jugend, S. 125
67 "Die »politische Erziehung«
der HJ stellte eine »Erziehung zum Staat« nicht im Sinne einer
Aktivierung zu politischem Denken und Tun dar, sondern - im
Durchschnitt gesehen - im Sinne der Disziplin und bloß
funktionalen Aktivität im Rahmen der jeweils vorgelegten
Richtlinien." Klönne:
Jugend, S. 124
68 vgl. Klönne: Jugend, S. 124
69 zit. nach: Böseler: Prozess, S. 54
70 Klönne: Jugend, S. 42
71 Klönne: Jugend, S. 38
72 Klönne: Jugendprotest,
S. 546
73 Monatsbericht. Zit. nach: Klönne: Jugendprotest,
S. 547
74 Klönne: Jugendprotest,
S. 546
75 Klönne: Jugend, S. 51
76 Hans-Helmut Dietze: Die
Rechtsgestalt der Hitlerjugend, Berlin 1939, S. 199. Zit. nach: Klönne: Jugend, S. 51
77 Klönne: Jugend, S. 54
78 Klönne: Jugend. S. 54
79 Stachura:
Jugenderziehung, S. 227
80 Klönne: Jugend, S. 53
81 Stachura:
Jugenderziehung, S. 241
82 Monatsbericht. Zit. nach: Klönne: Jugendprotest,
S. 547
83 Klönne: Jugend, S. 143 -
282
84 Klönne:
Jugendliche Opposition, S. 204
85 Klönne:
Jugendliche Opposition, S. 198
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