IV. Die Katholische
Jugend zwischen Pfarrseelsorge und Illegalität
Nun sind Gesichter unsre Fahnen
Rollt Eure Fahnen um den
Schaft und geht wie stumme Boten;
Die Macht ist über unsre Kraft, die Macht
hat es geboten.
Die Straße frei, der Lärm vergeht, wir
ziehen in die Stille,
Und wenn auch keine Fahne weht, es bleibt uns
doch der Wille:
Wir wollen Deutschland, und wir mahnen das
Volk an seine Kraft.
Nun sind Gesichter unsre Fahnen und Leiber
unser Schaft
Thomas Klausner 229
1. Rechtliche Veränderungen und
kirchliche Richtlinien ab 1936
2. Der Rückzug in die Pfarrseelsorge
3. Illegale Weiterarbeit
4. Aktiver Widerstand
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1. Rechtliche Veränderungen und kirchliche Richtlinien ab 1936
a. Neuordnung der katholischen Jugendarbeit
Der zunehmende staatliche Druck und die Erwartung, daß die Arbeit der Verbände noch weiter eingeschränkt würde, machte es dringend erforderlich, grundlegende Fragen über Art und Weise der Weiterarbeit zu klären. Eine Kommission im Auftrag der Fuldaer Bischofskonferenz arbeitete hierzu seit August 1935 an den "Grundlagen für eine Neuordnung der Jugendseelsorge"230. Auch die Jugendverbände waren in dieser Kommission vertreten231, spürten teilweise jedoch "...ein starkes Widerstreben gegen die katholische Verbandsarbeit."232 Die Richtung, in die sich die Verhandlungen bewegten, stieß teilweise auf heftige Kritik von seiten der Verbände: "Der Generalpräses der Kolpingfamilie T. Hürth sah zum damaligen Zeitpunkt in den Vorschlägen fast einen Verrat am Jungmännerverband."233 Auch die Bischöfe selbst waren sich über die zukünftige Rolle der Verbände nicht einig.234
Schließlich wurden jedoch die "Richtlinien für die
katholische Jugendseelsorge"235
endgültig festgelegt und von den westdeutschen Bischöfen am 6.
April 1936 bestätigt.236 In diesen
Richtlinien wurde zunächst der Stellenwert der Jugendarbeit für
die Seelsorge betont. Die kirchliche Jugendarbeit sollte dabei in
zwei Formen stattfinden:
Zum einen "...in der Form der allgemeinen
Pfarrjugendseelsorge...", für die auf die Pflicht des
Pfarrers hingewiesen wurde sie ernst zu nehmen: "Sie gehört
zu den wichtigsten Dienstobliegenheiten des Pfarrers und aller
seiner Hilfsgeistlichen."237
Als zweite Form wurden unter Bezugnahme auf die bisherige Arbeit
der Verbände die jugendlichen Lebensgemeinschaften genannt. Für
eine erfolgreiche Jugendarbeit seien über die allgemeine
Pfarrjugendseelsorge hinaus "...lebendige
Jugendgemeinschaften (Kernscharen) unerläßlich, wie sie sich in
den kirchlichen Jugendverbänden bewährt haben." Aus dem
Leben und der Arbeit dieser Kernscharen sollten dann junge
Menschen erwachsen, "...die in vorbildlichem Leben und tatkräftigem
Einsatz die Aufgaben der allgemeinen Pfarrjugendseelsorge
verwirklichen helfen."238
Grundsätzlich sollte die Jugendseelsorge der Pfarrei zugeordnet
werden. Damit war sie rechtlich auf einigermaßen sicherem Gebiet.
Als organisatorische Konsequenzen wurden Bischöfliche Jugendämter
errichtet und eine amtliche Reichsstelle für Jugendseelsorge
aufgebaut. Die Leiter der Bischöflichen Ämter wurden dabei in
Personalunion auch die Diözesanpräsides der noch bestehenden
Verbände. Dies geschah jedoch nicht überall im Einvernehmen mit
den Verbänden.239
Bemängelte der Generalpräses des KJMV noch, "...in den
Richtlinien werde kein Weg für die Gestaltung der Verbände
gewiesen"240, so erwies sich
die Verlagerung des Schwerpunktes auf die Pfarrseelsorge bald als
einzig realistischer Weg.
Im Juli 1937 kündigte sich das Ende für das Bestehen des
Jungmännerverbandes an. Mit der Begründung, "... durch
Wanderfahrten, Zelten und sportliche Spiele gegen die Verordnung
betreffs Verbot der Betätigung der konfessionellen Jugendverbände
vom 23. Juli 1937 1935 (...) laufend verstoßen zu haben",
wurde der Diözesanverband Paderborn am 7. Juli aufgelöst.
Rechtsgrundlage war die "...Verordnung des Herrn Reichspräsidenten
zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933"241 In den nächsten Monaten folgten
entsprechende Auflösungsanordnungen für fünf weitere Diözesanverbände,
die alle ebenfalls mit "angeblichen Verstößen gegen die
Polizeiverordnung vom 23. Juli 1935" begründet wurden.242 Bis Juni 1938 folgten "weitere
Auflösungen in sämtlichen bayerischen Diözesen".243 Damit hatte der KJMV nur noch ein
Zehntel seiner vorherigen Mitgliederzahl.
Diese Ereignisse ließen Verantwortliche der Kirche fragen:
"Soll die Kirche selbst (...) die Initiative ergreifen und
von sich aus die Auflösung des Jungmännerverbandes aussprechen?"244 Obwohl die Vermögenssicherung im
Falle einer Selbstauflösung sicher einfacher gewesen wäre,
sprachen sich 20 Diözesanverbände dafür aus, "...daß der
Jungmännerverband bis zum äußersten zu halten sei..."245.
Trotzdem bereitete man sich durch Ausgliederung von Aufgaben auf
ein Ende der Verbandsarbeit vor. Die Zeitschriften des
Jugendhauses Düsseldorf gingen an andere Verlage über, und die
Leiterschulungen wurden von den bischöflichen Stellen für die
Jugendseelsorge übernommen. Der Betrieb des Jugendhauses wurde
verkleinert.246
Am 6. Februar 1939 erfolgte dann der letzte Schlag gegen den KJMV:
Im Juni des gleichen Jahres folgte die Auflösung der Bünde
der Katholischen Jugendbewegung, Quickborn und Bund
Neudeutschland. Als letztes folgte der Zentralverband der
katholischen Jungfrauenvereinigungen. Von nun an war jegliche
verbandliche Weiterarbeit strafbar.248
Letztlich kamen diese Ereignisse aber nicht überraschend. Durch
die rechtzeitig eingeleitete Umstrukturierung der katholischen
Jugendarbeit konnten "...doch sehr viel materielle und
geistige Mittel des Jungmännerverbandes für die gesamte
katholische Jugend nutzbar gemacht"249
werden.
Die Macht staatlicher Maßnahmen erstreckte sich auf äußere
Formen und organisatorische Möglichkeiten. Was jedoch in dem
langen Ringen an Treue und Gemeinschaft gewachsen war, lag außerhalb
der Zugriffsmöglichkeit eines staatlichen Apparates. "So
konnte wohl der Apparat der Verbände von den
nationalsozialistischen Machthabern vernichtet werden, aus der
Verbandsarbeit war jedoch geistiges Leben entsprungen, das nicht
aufzulösen war und in neuen Formen weitergewirkt hat."250 Der Druck von außen hat die
Gemeinschaft der Jugendlichen nicht zerstören können. Im
Gegenteil, "...wurde doch erst das gemeinsame Erlebnis der
nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen für viele
Jugendliche der entscheidende Anstoß, der ihre persönliche
Haltung gegenüber dem Regime bestimmte."251
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2. Der Rückzug in die Pfarrseelsorge
a. Übernahme ehemaliger Verbandsgruppen
b. Ministrantenarbeit
c. Religiösen Gruppen der Pfarrjugend
d. Bekenntnistage und religiöse Jugendtreffen
e. Pfarrjugend als Konkurrenz der HJ
Die Geschichte über die katholische Jugend in der NS-Zeit wäre einseitig, würde sie nur die Arbeit der Verbandsspitzen beachten, die ja allesamt Erwachsene waren. Ein großer Teil der beharrlichen Weiterarbeit der katholischen Jugend war nämlich getragen von der Arbeit und der Treue der Jugendlichen selbst, die dabei oft einen persönlichen Einsatz erbrachten, die dem der Erwachsenen in nichts nachstand.
a. Übernahme ehemaliger Verbandsgruppen
Die ehemaligen Mitglieder der aufgelösten Jugendverbände gingen oft einfach geschlossen zur Pfarrjugend über und konnten dort als "Kernschar" ihren Zusammenhalt aufrechterhalten und in die ganze Pfarrjugend hineinwirken. "So waren die engagierten Jugendlichen jetzt nicht mehr für die Pfadfinder oder ND u.a. tätig, sondern vor allem für die Pfarrjugend..."252. Insofern konnte der Eichstätter Dompfarrer der neuen Lage auch etwas positives für die Jugendseelsorge abgewinnen:
Er baute die bisherigen Gruppen organisatorisch um und konnte am 8. Dezember 1937 64 Mädchen neu in die Jungfrauenkongregation aufnehmen. "Wenige Tage nach der Aufnahmefeier wurde der Verein aufgelöst und sein Eigentum beschlagnahmt."254
Da die Ministrantengruppen keiner offiziellen Organisation
angehörten, waren sie zunächst auch nicht von den Verboten
betroffen, die die Arbeit der Verbände eingeschränkt hatten. So
"...ließ sich in ihnen die frühere Jungschararbeit gut
weiterführen."255 In manchen
Pfarreien gingen die Pfarrer dazu über, ganze Schulklassen zu Meßdienern
auszubilden und die Ministrantenstunden mit Lichtbildervorträgen,
Filmen und Spielstunden interessant zu gestalten. Auch Ausflüge
und Wanderungen wurden mehr und mehr durchgeführt, "...wo
sich die Ministanten »durch Zufall« mit anderen Gruppen trafen."256 Der Kaplan von Arnstein konnte es
sich sogar erlauben den Ausflug "nach alter bündischer
Tradition" durchzuführen, ohne daß die Behörden
eingreifen konnten: "Mit seinen zwanzig Jungen, die alle
Mitglieder des Jungvolkes waren, zog er in geschlossener
Marschordnung, Volkslieder zur Gitarre singend, durch
Altenbessingen. Das war am 23. Juni 1938. Nach zwei Stunden Rast
im Pfarrhof traten sie den Rückmarsch an."257
Die Behörden waren gegen diese Weiterführung der verbotenen
Gruppenarbeit machtlos, da ihnen "...kein Gesetz Handlungsmöglichkeiten
gab, solange nicht gegen das Uniformverbot und das Sportverbot
(...) verstoßen wurde."258
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c. Religiösen Gruppen der Pfarrjugend
Die religiöse Arbeit in der Pfarrjugend wurde verstärkt. So boten Bibelstunden, Singabende und Glaubenunterweisung Gelegenheit, zusammenzukommen. Auch in Eichstätt waren sie bei der Jugend beliebt. Die Bibelstunden der Professoren Schröffer und Kürzinger waren mit 300 Teilnehmern gut besucht.259 Auch aus anderen Pfarreien soll es Bibelgruppen gegeben haben, "...die mehr getan haben sollen als Bibellesen"260. Goldhammer hat für Franken noch weitere Beispiele für die Intensivierung der Pfarrjugendarbeit zusammengetragen. Er faßt die Arbeit der Gruppen so zusammen:
d. Bekenntnistage und religiöse Jugendtreffen
Auch diejenigen katholischen Jugendlichen, die nicht in
irgendwelchen Gruppen aktiv sein konnten, nutzten die Möglichkeiten,
ihre Treue zur Kirche zu zeigen. Der Staat verlangte von der
katholischen Jugend eine Beschränkung auf das rein Religiöse.
Man machte aus der Not eine Tugend und so "...verlagerte
sich die Manifestation von Opposition und Widerstand auf das noch
einzig mögliche Gebiet, auf das öffentliche Bekenntnis zu
Glauben und Kirche"262. Dabei
übernahmen die aktiven Jugendgruppen häufig die Gestaltung der
religiösen Feiern für die gesamte Pfarrjugend.263
Hier bewährte sich auch die Vorarbeit aus der Zeit vor
dem Dritten Reich, die die liturgische Bewegung geleistet hatte.264 In einer jugendgemäß erneuerten
Liturgie konnten die Jugendlichen ihren Glauben und ihre
Gemeinschaft ausdrücken. So wurden, wie an anderen Orten im
Reich, auch in Eichstätt "die Andachten (...)
abwechslungsreicher und jugendgemäßer gestaltet. Am
Samstagabend kam man zum kirchlichen Nachtgebet zusammen, zur
Heiligen Stunde am Abend vor den Herz-Jesu-Freitagen fanden sich
regelmäßig etwa 800 Jugendliche ein."265
Vor allem die Bekenntnistage wurden eine Demonstration auch von
den Jugendlichen, die sich nicht in der Gemeinde engagieren
konnten. Von der Teilnahme am Bekenntnistag 1936 in Eichstätt
wurden selbst die Seelsorger überrascht:
In Würzburg nahmen bei zwei verschiedenen Bekenntnisstunden am 14. Juni 1936 zusammen etwa 8 000 Jugendliche teil.267 Eichstätt und Würzburg waren dabei sicher keine Einzelfälle. In ganz Deutschland nahmen die Teilnehmerzahlen bei Prozessionen, Wallfahrten, Exerzitien und Bekenntnistagen zu.268 Arno Klönne deutet diese Ereignisse wie folgt: "Bekenntnistage der katholischen Jugend, Bischofsjubiläen, Prozessionen und ähnliche Veranstaltungen wurden zu Demonstrationen gegen die Unterdrückung der katholischen Jugendbewegung."269
e. Pfarrjugend als Konkurrenz der HJ
Die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen der Jugend und der Pfarrjugendseelsorge ging nicht zuletzt oft auch auf Kosten der Aktivitäten der Hitlerjugend. Trotz Auflösung der katholischen Verbände hatte die Hitlerjugend in katholischen Gebieten keinen leichten Stand. Die Ortsgruppe der NSDAP in Nassenfels bei Eichstätt gab am 22. März 1939 den folgenden Bericht ab:
Schuld daran war sicher nicht allein die katholische Jugend, die Ursachen lagen auch in der Staatsjugend selbst. Die HJ hatte ihre äußerliche Jugendlichkeit verloren, sie war zu einem "...schwerfälligen Staatsapparat geworden, mit vormilitärischer Schulung, Diziplinierung und weltanschaulicher Indoktrination..."271. Jedenfalls kann gesagt werden, daß nicht nur die katholischen Verbände eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Staatsjugend waren, sondern die katholische Jugend, auch in breitem Maße der Pfarrjugend die Treue hielt. "Wenn die katholische Jugend in Eichstätt 1942 größtenteils zu ihrer Glaubensfeier ging, obwohl die HJ gleichzeitig Dienst angesetzt hatte, so zeigt dies, wie erfolgreich die kirchliche Arbeit hier war."272 Durch die Einführung der Jugenddienstpflicht im Jahre 1939273 konnte dies als offene Verweigerung der Staatspflicht zugunsten der katholischen Glaubensbezeugung angesehen werden.
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3. Illegale Weiterarbeit
Die ehemaligen Verbandsgruppen reagierten nicht nur im Rahmen
der staatlichen und kirchlichen Vorgaben auf die neue Situation.
Es gab auch "...viele - und oft erfolgreiche - Versuche,
geschlossene katholische Jugendgruppen trotz Verbot im »Untergrund«
fortzuführen."274
Dabei mußten die Gruppen auf viele ihrer Äußerlichkeiten
verzichten, die bisher ihre Eigenheiten ausgedrückt hatten. Die
Gruppen verstanden dies jedoch auch als Möglichkeit, sich auf
das Eigentliche zu konzentrieren. Ein Rundbrief der St.
Georgspfadfinder drückte dies folgendermaßen aus: "Was
hilft alle Tracht, die etwa im Gegensatz zu dem steht, der sie trägt.
Der ganze Mensch muß zeugen von dem was er ist."275 Unter dem Namen "Gemeinschaft
St. Georg" versuchten die Georgspfadfinder ihre Gemeinschaft
weiterzuführen.276
Außerdem arbeiteten sie nach dem Verbot oft als Kernscharen in
den Pfarrgemeinden getarnt weiter. So zum Beispiel eine Gruppe
des Bundes Neudeutschland im badischen Bruchsal. Dort sammelte
der Gruppenführer Hans Bausch seine Mitglieder des aufgelösten
Bundes "...in einer Pfarrjugendgruppe, um sich damit den
Schutz des bisher nicht aufgekündigten Reichskonkordates zunutze
zu machen."277 Am 21. November
1941 stellte ihnen ein Karlsruher Gericht in einem Urteilsspruch
ihnen folgendes Zeugnis aus: "Das einem Verbot unzugängliche
innere Bundesleben hat nie aufgehört."278
Andere gingen in den Untergrund und schlossen sich dem "Grauen
Orden"279 an oder gründeten
eigene, oft bündisch beeinflußte Gruppen, die es bis zum Ende
des Dritten Reiches gab.280 Dabei
fanden sich Jugendliche aus verschiedenen verbotenen Verbänden
zusammen. Ein aufgedeckter Fall ist in einem Bericht des
Regierungspräsidenten aus Franken dokumentiert:
Ob in weitergeführten Verbandsgruppen oder in echten Gruppen der Pfarrseelsorge, überall gehörten zum aktiven Leben der Jugendgruppen in dieser Zeit das Wandern, bzw. längere Fahrten ins In- und Ausland. Die illegalen Fahrten der katholischen Gruppen waren bei aller Vorsicht in der Planung trotzdem ständig in Gefahr, vom HJ-Streifendienst282 aufgedeckt zu werden. Doch hier wußten sich meist die Jugendlichen sogar die Gleichschaltungsmaßnahmen der Staatsjugend zu Nutze zu machen. Auf Grund der allgemeinen Jugenddienstpflicht, die seit 1939 bestand, waren sie alle zwangsweise Mitglieder der Hitlerjugend. So konnten sie die offizielle HJ-Uniform und die Ausweise als Tarnung verwenden.283
c. Illegale Gruppen der Jugendbewegung
Schon seit 1933 gab es neben den offiziellen katholischen Verbänden Gruppen, die im Untergrund arbeiteten. Diese Gruppen standen der Jugendbewegung nahe und hielten auch deren äußere Formen wie Liedgut oder die "Kohte" als Zeltform aufrecht. Gruppen solcher Art waren schon aufgrund des Verbotes gegen die Bündische Jugend illegal und können nicht im Zusammenhang mit dem Kampf der Kirche um die katholische Jugendarbeit gesehen werden, da sie auch nicht unter den Artikel 31 des Reichskonkordates fielen.
Der Bund "Grauer Orden", in dem sich Gruppen aus verschiedenen Verbänden zusammenfanden, unternahm gemeinsame illegale Zeltlager und Fahrten ins Ausland.284 Franz Leist, der damalige Mittelpunkt der Gruppe, berichtete:
"...Die Gruppen, die ich geführt habe und mit denen ich durch viele Jahre zusammen war, haben sich über ganz Süddeutschland und ganz Westdeutschland erstreckt, und es waren immerhin mehrere Hundert junge Menschen. Der Kampf gegen die Nazis begann am ersten Tag. (...) Einer meiner besten Freunde, der Student Willi Graf, der im Zusammenhang mit den Münchner Studenten hingerichtet wurde, gehörte zu meiner Gruppe und wurde auf meiner Bude gefaßt."285
Ein Prozeß gegen Mitglieder dieses Bundes wurde im Frühjahr 1938 geführt, aber wieder eingestellt, da die vorgeworfenen Vergehen unter eine Amnestie fielen. Obwohl diese Gruppen sicher nicht Teil der offiziellen katholischen Jugendarbeit waren, wußte man voneinander und ergänzte sich vielleicht auch bewußt. "Von diesem illegalen Kreis aus bestanden enge Verbindungen zu Mitarbeitern des Jugendhauses Düsseldorf, der Zentrale der katholischen Jugendarbeit."286
Dabei war die Arbeit der verbotenen Gruppen gefährlicher als die offene Arbeit der Verbände, weil diese ja im Licht der Öffentlichkeit standen und dadurch eher geschützt waren. Die illegale Arbeit der autonomen und katholischen Jugendbewegung wurde von der Gestapo verfolgt. "...viele junge Leute zwischen 16 und 18 Jahren wurden verhaftet, wegen »illegaler Gruppenbildung«, »Hochverat« und »Zersetzung der Staatsjugend« verurteilt...". Die Strafen gingen bis zur Einweisung in ein Konzentrationslager. Mancher wurde "...später vorzeitig in Strafeinheiten der Wehrmacht eingereiht."287
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4. Aktiver Widerstand
a. Verbreitung von Flugblättern
b. Die Ereignisse um Münsterschwarzach
c. Gerichtsverfahren gegen Jugendliche
Über aktiven Widerstand von seiten der Jugendlichen gibt es nur eine sehr unsichere Quellenlage. Goldhammer sieht aber trotzdem Hinweise für ein solches Bestehen: "Naturgemäß läßt sich bei einer nicht aufgedeckten Widerstandsgruppe kein direkter Beleg finden, wohl aber sprechen RPB f. Ufr. [Regierungspräsidentenberichte für Unterfranken. Erläuterung des Verfassers] 1941 von Ereignissen um die Auflösung v. Münsterschwarzach und von Flugblättern, die allein schon indirekt diesen Nachweis einer Verschwörertätigkeit führen lassen..."288.
a. Verbreitung von Flugblättern
Auch in Eichstätt wurde diese Art von Widerstand praktiziert. Dompfarrer Johannes Kraus, "ein Geistlicher, der zu begeistern verstand", entfaltete mit Jugendlichen zusammen "eine rege Flugblattproduktion" über der Domsakristei und sorgte auch für die Verteilung. Diese Flugblätter wandten sich "...in schärfster Form gegen die nationalsozialistische Kirchenpolitik."289 Diese Arbeit mußte immer auf einen kleinen Kreis von Jugendlichen beschränkt bleiben. Die Gruppen hielten dicht, so daß trotz Anstrengungen in Form von Haussuchungen und Vernehmungen nie herausgefunden wurde, woher die Flugblätter kamen. Einige Mädchen mußten jedoch die Stadt verlassen, weil sie "...unter dem dringenden Verdacht standen, an der Flugblattverteilung beteiligt zu sein."290 Es kam sogar zu Haftstrafen gegen den Mesner und weitere Personen.291
Goldhammer berichtet über weitere Flugblatt-Aktionen Jugendlicher in Franken, so zum Beispiel in Schweinfurt, im Aschaffenburger und im Würzburger Raum292. Dies wurde für die Staatsmacht zum Problem, wie auch aus den Regierungspräsidentenberichten hervorgeht.
b. Die Ereignisse um Münsterschwarzach
Die Ereignisse um die jugendliche Widerstandsgruppe "Grüne Gruppe" im Umfeld des Klosters Münsterschwarzach sind Grundlage eines Jugendromans von Ludwig Altenhöfer, der selbst zu dieser Gruppe gehörte.293 Oskar Neisinger, der zweite Leiter dieser Gruppe, beschreibt die Entstehung der Gruppe:
Zunächst wurden verbotene Hirtenbriefe gedruckt und verteilt. Es wurden jedoch auch eigene Flugblätter entworfen und auf fantasievolle Art und Weise unter die Menschen gebracht. Die Texte forderten die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Aufhebung des Klosters Münsterschwarzach oder gegen die Entfernung der Schulkreuze auf.
"Wenn ihr euch wehrt, bleibt das Kreuz in
den Schulen!
D a r u m w e h r t e u c h !
Deutschland wird christlich sein , oder es wird nicht sein!"295
Das Flugblatt hatte Erfolg. Die Aktion wurde gestoppt. Später entwickelten sich die Aktivitäten weiter. "...Aus diesem Kreis wuchs dann langsam ein kleiner Kreis heran, der an direkten Widerstand zunächst dachte und dann dazu überging..."296. Die Gruppe hatte vermutlich auch Verbindung zu Ordinariats-Justiziar Dr. Angermaier297, der selbst Mitglied im Kreisauer Kreis um Graf Moltke war.298 Von ihm wurde sie ausgestattet mit einer Schreibmaschine und vermutlich auch mit einer Pistole.299 Erst als Neisinger eingezogen wurde, löste sich die Gruppe auf. Er selbst "...entging in den letzten Kriegstagen durch Abwesenheit einem gegen ihn verhängten Todesurteil."300
c. Gerichtsverfahren gegen Jugendliche
Sicherer als bei den unentdeckten Aktionen Jugendlicher ist die Quellenlage bei den Jugendgruppen, die von der Gestapo aufgedeckt werden konnten. Sicher war nicht die breite Masse katholischer Jugendlicher an Widerstandshandlungen beteiligt. Jedoch entwickelte sich "...in einzelnen Fällen (...) aus dem oppositionellen Milieu katholischer Jugendbewegung auch unmittelbar politischer Widerstand gegen den NS-Staat."301
Am 24. September 1942 wurden in München drei Jugendliche zum Tode verurteilt, weil sie Flugzettel hergestellt und verteilt hatten. Diese Flugblätter zeigten die Grauen des Krieges und enthielten Aufschriften gegen Hitler: "Nieder mit Hitler - Volksverführer, Volksverderber, Volksverräter" oder "Hitler kann den Krieg nie gewinnen, er kann ihn nur verlängern!". Außerdem hatten die Jugendlichen einen Radiosender "Rotterdam" aufgebaut und damit Texte gegen das Regime ausgestrahlt. Die Urteilsschrift vermerkte, daß die Jugendlichen bis zum Verbot katholischen Jugendverbänden angehört hatten, und "...auf diese Weise zu einer den Nationalsozialismus ablehnenden Haltung..."302 gelangten.
Vom christlichen Glauben des Schreibers zeugt auch der Abschiedsbrief des "Kopfs der Gruppe" Walter Klingenbeck, der am 5. August 1943 in München hingerichtet wurde.
Dieser Fall kann stellvertretend stehen für weitere, bei denen die geistige Herkunft der jugendlichen Opfer nicht so klar zum Ausdruck kommt. Oft wirkten bei jugendlichen Oppositionsgruppen verschiedene Einflüsse zusammen. So kamen die Mitglieder der "Weißen Rose" in München teils aus der autonomen Jugendbewegung, teilweise aus der katholischen Jugendbewegung.304
Diese Unterschiede wurden unter dem Druck dem beide Richtungen ausgesetzt waren immer unerheblicher. Schon 1936 beklagte die nationalsozialistische Presse die Zusammenarbeit der bündischen und der katholischen Jugend.
So kann über den Jugendwiderstand gesagt werden, daß hier, wie beim Widerstand Erwachsener unter dem Druck des totalitären Staates die weltanschaulichen Grenzen nebensächlich wurden, oder zumindest eine Zusammenarbeit nicht behinderten.
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Fußnoten mit links zu den Literaturangaben
229 aus "die Wacht" (März
1935). Druck: Bockler: Manifeste.
S. 86
230 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 163
231 Zusammensetzung siehe: Roth: Dokumente, Nr. 119, S. 119
232 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 164
233 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 164
234 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 164, Anm. 20
235 Druck: Hastenteufel: Selbstand,
Nr. 11, S. 334-338
236 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 165, Anm. 21
237 Hastenteufel: Selbstand,
S. 335
238 Hastenteufel: Selbstand,
S. 337
239 So rief zum Beispiel in der Diözese
Eichstätt die "... Einführung des »kombinierten Präses«
(...) in den Verbänden großen Ärger hervor, doch mußten sie
sich den bischöflichen Anweisungen beugen." Kleinöder: Verfolgung, S. 229
240 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 165
241 Auflösungsanordnung (27. Juli
1937). Druck: Roth: Dokumente, Nr.
76, S. 144
242 Münster: 27. Oktober 1937;
Trier: 12. November 1937; Limburg: 26. November 1937; Köln und
Aachen: 1. Februar 1938. Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 170. Roth:
Dokumente, S. 55f
243 Roth:
Dokumente, S. 56
244 Bischof Spor am 19.11.1937 auf
einer Konferenz in Köln. Zit. nach: Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 171
245 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 172
246 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 173
247 Ansprache von A. Fehrenbach am 9.11.1951.
Zit. nach: Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 173
248 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 174
249 Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 174f
250 Schellenberger:
Jugendwiderstand. S. 322
251 Kleinöder:
Verfolgung, S. 235
252 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 337
253 Unveröffentlichtes Manuskript.
Zit. nach: Kleinöder:
Verfolgung, S. 235
254 Kleinöder:
Verfolgung, S. 228
255 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 337
256 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 338
257 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 339
258 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 339
259 Kleinöder:
Verfolgung, S. 230
260 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 333
261 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 334
262 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 282
263 Kleinöder:
Verfolgung, S. 221. Vgl. Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 288
264 siehe Kapitel
I.3.a. dieser Arbeit
265 Kleinöder:
Verfolgung, S. 231
266 Dompfarrer Kraus in seinen
Memoiren. Zit. nach: Kleinöder:
Verfolgung, S. 231
267 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 292f
268 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 284-297
269 Klönne: Jugend, S. 191
270 Staatsarchiv Nürnberg. Zit.
nach: Kleinöder: Verfolgung,
S. 232
271 Kleinöder:
Verfolgung, S. 232
272 Kleinöder:
Verfolgung, S. 233
273 siehe Kapitel
II.3.d. dieser Arbeit
274 Klönne: Jugend, S. 193
275 Ins neue Jahr, 1937, S. 5. Zit
nach: Schellenberger:
Katholische Jugend, S. 170
276 Roth:
Dokumente, S. 41
277 Roegeler:
Illegalität, S. 498
278 Landgericht Karlsruhe (21.
November 1941). Zit. nach: Roegeler:
Illegalität, S. 505
279 Goldhammer geht auf Seite 346
davon aus, daß sich dieser Bund erst nach dem Verbot der Verbände
gebildet hat. Dem stehen Aussagen von Brandenburg und Klönne
entgegen. Goldhammer: Jugend
Frankens, S. 346. Vgl. Brandenburg:
HJ, S. 223, vgl. Klönne: Jugend, S. 207
280 Bericht (8. Mai 1943). Druck: Witetschek: Lage in Bayern II,
S. 431
281 Monatsbericht der Regierung vom
April 1943 (8. Mai 1943). Druck: Witetschek: Lage in Bayern II,
Nr. 142, S. 431. Der Bericht steht unter dem Abschnitt "Katholische
Kirche". Es kann deshalb davon ausgegangen werden, daß es
sich dabei um eine katholische Gruppe handelte. 282
siehe Kapitel II.3.d. dieser Arbeit
283 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 348
284 Brandenburg: HJ, S. 223
285 Brief Franz Leist an Arno Klönne
(17.12.1956). Zit. nach: Klönne:
Jugend, S. 207
286 Klönne: Jugend, S. 207
287 Klönne: Jugend, S. 207
288 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 488, Anm. 77
289 Kleinöder:
Verfolgung, S. 230
290 Kleinöder:
Verfolgung, S. 230
291 Kleinöder:
Verfolgung, S. 230
292 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 377-380
293 Altenhöfer selbst bezeichnet
das Buch als "dokumentarisch, weil keine Szene erfunden ist.
Es ist nicht dokumentarisch im üblichen Sinn, weil (...)
Geschehnisse anders zusammengetragen sind, als sie sich nach Ort
und Zeit abgespielt haben." Altenhöfer: Aktion Grün, S. 2.
Der allgemeine äußere Rahmen und einige konkrete Einzelheiten
sind durch Dokumente und mündliche Aussagen belegt. Siehe: Goldhammer: Jugend Frankens, S.
369 - 375, und die entsprechenden Anmerkungen Nr. 120-163. Ebd. S.
469f
294 Interview vom April 1980. Zit.
nach: Goldhammer: Jugend
Frankens, S. 370
295 Gendamarieposten Ochsenfurt an
den Landrat Ochsenfurts. Betreff: Verbreitung von Flugzetteln (29.
Juni 1941). Druck: Goldhammer:
Jugend Frankens, Anhang Nr. 18
296 Interview vom April 1980. Zit.
nach: Goldhammer: Jugend
Frankens, S. 370
297 Im Roman Altenhöfers unter dem
Namen Dr. Richter. Altenhöfer: Aktion Grün, S. 60ff
298 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 369; ebd., S. 490f Anm. 120
299 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 374
300 Goldhammer:
Jugend Frankens, S. 375
301 Klönne: Jugendprotest,
S. 580
302 Urteilsschrift. Zit. nach: Klönne: Jugendprotest,
S. 580, vgl. Jahnke: Entscheidungen,
S. 86-91
303 Zit. nach: Klönne: Jugendprotest,
S. 580
304 Willi Graf gehörte dem
illegalen katholischen Bund "Grauer Orden" an.
305 aus der HJ-Führerzeitschrift
"Wille und Macht", Jg. 3 (1935). Zit nach: Klönne: Jugendprotest,
S. 584
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